Ausgangslage
Video- und Computerspiele haben sich in den letzten 10-15 Jahren zu einer der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene entwickelt. Auf Grund seiner Interaktivität wird dieses Medium sehr oft dem passiven Fernsehkonsum vorgezogen. Neben einer Vielzahl von weitgehend unbestrittenen Spielarten (Sportspiele, Rollenspiele, Rennspiele etc.) stehen vor allem die „Action-“ oder „Ego-Shooter“-Spiele im Fokus der Öffentlichkeit. Politik und Gesellschaft sowie Eltern und Erziehungsberechtigte sind heute herausgefordert, diese neue Form der Freizeitbeschäftigung zu verstehen sowie die Chancen und Risiken richtig einzuschätzen, zu nutzen und damit umzugehen.
Ein digitales und interaktives Medium bietet wesentlich komplexere Phänomene als alle bisher bekannten Medien. Der Videospielverband SIEA setzt sich seit Jahren mit den Chancen und Risiken des Gamings auseinander. Dank einer starken Vernetzung kann er dabei von den Erfahrungen aus dem Ausland profitieren.
Auf Grund der bisherigen nationalen und internationalen Erfahrungen und Erkenntnisse ist für die SIEA ein generelles Verbot von gewissen Spielarten kontraproduktiv und schwächt die Bestrebungen zugunsten eines effektiven Jugendschutzes. Die Gründe dafür sind:
1. Gleiches Recht für alle Medien
Die aktuellen parlamentarischen Vorstösse wie die Motion von Nationalrätin Allemann vom 30. April 2009 fordern ein absolutes Verbot von „Killerspielen“. Nicht ersichtlich ist, warum sich die Forderung nicht auch auf so genannte „Folterpornos“ in der Art von „Hostel“ oder Actionfilme wie „Kill Bill“ erstreckt, wie sie in den Schweizer Kinos gezeigt und in Videotheken verliehen werden. Deren Gewaltdarstellungen stellen in Sachen Grausamkeit und Sadismus die virtuellen Ballereien bei weitem in den Schatten. Eine Meta-Analyse aktueller wissenschaftlicher Befunde hat auch gezeigt, dass von passiven Medien wie dem Film eine stärkere aggressionssteigernde Wirkung ausgeht als von Videospielen, deren Inhalte erst (inter-)aktiv erschlossen werden müssen.
Die Diskussion um mögliche schädliche Folgen für den Menschen und die Gesellschaft als Folge des Konsums von gewaltdarstellenden Film- und TV-Inhalten wird seit Jahrzehnten geführt. Prohibitive Ansätze wurden anfangs auch hier in Erwägung gezogen, aber letztendlich verworfen, da ein monokausaler Zusammenhang von medialen Gewaltdarstellungen und Gewalt in der Gesellschaft als nicht haltbar erachtet wurde. Die Forschung hat vielmehr gezeigt, dass die Korrelationen weit komplexer sind und der Mensch keine simple Reiz-Reaktion-Maschine ist.
Jedes Medium muss nach den gleichen Kriterien beurteilt werden. Es geht nicht an, dass „ältere“ Medien wie Film oder Bücher eine bevorzugte – sprich: fachlich fundierte und differenzierte – Behandlung erfahren, nur weil die Erwachsenen und Entscheidungsträger mit ihnen gross geworden sind, sie kennen und deshalb den Umgang mit ihnen gewohnt sind.
2. Wirkungsvoller Jugendschutz
Mit wirkungsvollem Jugendschutz hat die Forderung nach einem „Killerspielverbot“ sehr bedingt zu tun. Mit einem Verbot wird das Bedürfnis nach entsprechenden Inhalten nicht aus der Welt geschafft. Vielmehr können sich möglicherweise unbescholtene Bürgerinnen und Bürger inkriminieren, weil sie ihrem Hobby nachgehen und Action-Games spielen.
In ihrer Entwicklung stehen Videospiele etwa dort, wo der Film in den 30er-Jahren war – die Zeit von „King Kong“ und „Frankenstein“ in Schwarzweiss. Mit einem Verbot in der Schweiz lässt sich das Leitmedium des 21. Jahrhunderts nicht aufhalten. Den Umgang mit dem noch jungen Medium zu lernen ist weit effektiver, als sich der Illusion hinzugeben, dass mit der Prohibition etwas erreicht werden kann. Eine rechtlich verbindliche Altersfreigabe gemäss den Pegi-Empfehlungen, die auf sämtlichen im Schweizer Handel erhältlichen Videospiele deutlich ersichtlich sind, ist eine nachhaltigere und zukunftsorientierte Strategie: Jugendschutz ja, Verbot nein.
3. Effektive Selbstregulierung
Ein absolutes Verbot von Videospielen ist unverhältnismässig, widerspricht dem Stand der Wissenschaft und ändert an der Nachfrage nach Inhalten für erwachsene Spieler nichts. Verschiedene Beispiele in der Vergangenheit haben gezeigt, dass das Modell der (staatlich regulierten) Selbstregulierung, insbesondere im Umgang mit Medien, äusserst effektiv und kostengünstig ist. Der Staat soll nur dort eingreifen, wo es wirklich notwendig ist.
Die in der Schweiz von der SIEA bereits seit vielen Jahren implementierte Altersempfehlung stützt sich auf die Norm der Pan European Game Information (Pegi), www.pegi.info. Pegi kommt in 29 Ländern des EU-Raums zur Anwendung – Deutschland verfügt über die USK-Norm, wobei aktuell die Einführung der Pegi-Normen diskutiert wird. In Ländern wie Finnland, Israel und seit Juni dieses Jahres Grossbritannien, das traditionsgemäss über eine sehr restriktive Medienpolitik verfügt, wurde die Verbindlichkeit von Pegi gesetzlich verankert. Bereits heute setzen sich der Schweizer Handel und die Industrie aktiv für Jugendschutz und die Beachtung der Pegi-Normen ein. An jeder Verkaufskasse erfolgen konsequent Alterskontrollen. Die EU beurteilt die Massnahmen der Schweiz als vorbildlich. Die Schweizer Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz würde eine Einführung der Pegi-Normen begrüssen und mit ihrer Medienkommission unterstützen.
4. Ein Verbot ist praxisfern
Forderungen eines Verbots von „Killerspielen“ sind populär. Bis dato sind die Urheber von parlamentarischen Vorstössen und Verbotsforderungen jedoch eine Definition des Begriffs „Killerspiel“ schuldig geblieben. Zum einen liegt dies wohl daran, dass viele von ihnen nicht mit dem neue Medium Videospiele aufgewachsen sind und persönlich über wenig oder keine praktische Erfahrung verfügen. Zum anderen ist die Umschreibung der fraglichen Inhalte äusserst schwierig. Bei der harten Pornographie sind die strafrechtlich relevanten Tatbestände in Art. 197 Ziff. 3 StGB klar umschrieben. Bei Gewaltinszenierungen ist Vergleichbares nicht möglich, wie schon die interpretationsbedürftige Norm von Art. 135 StGB, Gewaltdarstellungen, zeigt. In seiner Antwort auf die Motion Allemann hält der Bundesrat am 20. Mai 2009 denn auch fest: „Der Bundesrat lehnt eine Ausdehnung der Verbotsgrenze für absolut (auch für Erwachsene) verbotene Gewaltdarstellungen ab. (…), weil mit der Ausdehnung des Verbots auf ‚menschenähnliche Wesen‘ nur wieder neue Auslegungsschwierigkeiten geschaffen werden.“
Um Rechtssicherheit zu schaffen, bedarf es einer für Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbaren und verständlichen Norm. Es kann nicht angehen, dass vor allem unbescholtene Jugendliche auf Grund einer diffusen Verbotsnorm und deren nicht berechenbaren Interpretation Gefahr laufen, in ein strafrechtliches Verfahren zu gelangen; dies nur, weil sie ein Videogame spielen, das sie klar auch als solches erkennen und nicht als „Schule fürs Töten“ verstehen, wie immer wieder behauptet wird. In diesem Zusammenhang fährt der Bundesrat in seiner Antwort vom 20. Mai 2009 fort: „Die Ergebnisse der verfügbaren wissenschaftlichen Studien lassen vermuten, dass die häufige Nutzung von Egoshooter-Computerspielen nicht ursächlich für gewalttätiges Verhalten von Jugendlichen – geschweige denn von Erwachsenen – ist.“
Der Ruf nach einem Verbot ist vielfach Ausdruck einer Überforderung und Hilflosigkeit einer älteren Generation, sind doch Videogames längst Teil des Kultur- und Unterhaltungsangebots von Kindern und Jugendlichen, aber auch von einer wachsenden Zahl Erwachsener. Sie werden auf Handys, Konsolen, dem PC und im Internet gespielt. Besonders das Internet lässt prohibitive Massnahmen, was die Verfügbarkeit möglicher unerwünschter Inhalte anbelangt, ins Leere laufen. Selbst in totalitären Staaten ist eine Kontrolle des Internets im herkömmlichen Sinne nicht möglich, wie die Beispiele von China oder jüngst im Iran zeigen. Ein Verbot hätte vielmehr andere Konsequenzen: Jugendliche und Erwachsene, deren Nachfrage nach entsprechenden Inhalten trotz Verbot weiter besteht, könnten auf der Suche im Internet mit Piraterieangeboten, illegalen und weit gravierenderen Inhalten konfrontiert werden als mit jenen von kommerziell und im Rahmen der gängigen Konventionen produzierten und deutlich mit Altersempfehlungen gekennzeichneten Videospielen.
Weit sinnvoller als wissenschaftlich unfundierter, populistisch getriebener Aktionismus unter dem Deckmantel des Jugendschutzes ist die Förderung von Medienkompetenz gekoppelt mit einer rechtlich verbindlichen Selbstregulierung durch die Anbieter in den Bereichen Videogames, Film und Video. Es ist der einzig nachhaltige Weg, um mögliche schädliche Einflüsse medialer Inhalte zu minimieren. Dies geht auch aus dem Bericht des Bundesrates zu „Jugend und Gewalt“ vom 20. Mai 2009 hervor, der sich auf eine fundierte Analyse der aktuellen Forschungslage und ihrer zusammenfassenden Interpretation durch namhafte Experten abstützt.